Medizinprodukte: Kinder und Jugendliche endlich im Fokus?

von Robert A. Gebhardt 21. März 2020

Kinder und Jugendliche verdienen dieselbe Beachtung wie Erwachsene in der Weiterentwicklung der Medizintechnik, jedoch hat die Industrie es schon lange versäumt den Fokus auf diese Zielgruppe zu legen. Eine Förderung soll helfen dass Patienten in allen Altersgruppen bald individuelle Versorgung erhalten.

Medizinprodukte: Bereich Kinder und Jugendliche

Kinder und Jugendliche, die heutige Generation findet endlich Beachtung in der Entwicklung von Medizinprodukten. Die Welt im einundzwanzigsten Jahrhundert kennzeichnet sich durch einen schnellen Wandel in fast allen Bereichen des Lebens aus. Vor allem in der Medizin sind heutzutage große Fortschritte bei der Behandlung von Patienten fast an der Tagesordnung. Das konstante Streben nach Weiterentwicklung der Technik um die Leiden der Menschen zu verringern, hat die Lebensqualität weltweit auf ein Maß erhoben und die Lebenserwartung um ein Vielfaches gesteigert. Vor nicht einmal 50 Jahren wurden Personen mit einem angeborenem Herzfehler oder einer im Leben erworbener Herzschwäche mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem schnellen und baldigem Ende konfrontiert. Der technologische Fortschritt hat hier erfolgreich gegengewirkt. Aber nicht nur am Herzen wurden phänomenale Errungenschaften verzeichnet, auch mit Herz-, Diabetes-, Krebs- oder Tumorerkrankungen erfreuen sich an zahlreichen Therapien, die Ihnen ein fast normales gesellschaftliches Leben ermöglichen. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Wissenschaftler bisher eine immer größer werdende Zielgruppe stark unterschätzt und vernachlässigt haben.

Forscher weltweit haben sich bisher überwiegend auf die Heilung sowie die Verbesserung der Krankheitserscheinungen von Erwachsenen Personen konzentriert. Der Fokus lag auf Menschen, bei denen die körperliche und geistige Entwicklung bereits abgeschlossen war.

Sowohl die behandelnden Ärzte als auch die Ingenieure können auf gewisse Universalprodukte in der Medizintechnik zurückgreifen und basieren darauf ihre Fortschritte. In der Behandlung von Kinder- und Jugendkrankheiten allerdings verzeichnen Mediziner sowie Forscher, kaum oder nur geringe Weiterentwicklung. Die Zunahme der Behandlungsmethoden und der dazugehörigen Geräte verläuft äußerst langsam. Die Verantwortlichen nennen auf Nachfrage immer wieder unzählige Hürden die bisher noch zu überwinden seien. Sie schieben den stagnierenden Entwicklungsprozess auf unterschiedlichen psychische und physische Phasen in der körperlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.

Kinder und Jugendliche verdienen dieselbe Beachtung wie Erwachsene in der Weiterentwicklung der Medizintechnik

Fakt ist, das Kinder und Jugendliche unterschiedliche Wachstumsphasen und Entwicklungsstufen durchlaufen, ehe sie in das Erwachsenenalter kommen und sich Ihr Körper nur noch langsamer verändert. Die Medizin unterteilt diese Phasen allgemein in sechs verschiedene Stadien. Den Anfang stellen zu früh geborene Babys dar, die noch vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden, sogenannte frühgeborene Kinder. Neugeborene hingegen welche zwischen der 37. Schwangerschaftswoche und der Vollendung ihres 28. Lebenstages zur Welt kommen, bilden die zweite Gruppe. Babys, die zwischen fünf Wochen und zwölf Monate alt sind, gehören in die Kategorie der Säuglinge und somit zu Gruppe drei. Kleinkinder zwischen einem und zwei Jahre bilden die Gruppe vier. Die Spanne zwischen dem dritten und elften Lebensjahr stellt die Entwicklungsphase der Kinder dar und findet sich in der Gruppe fünf wieder. Die sechste und letzte Unterteilung der Entwicklungsstadien im Kindheitsalter bildet die Rubrik der Adoleszenten, der zwölf- bis siebzehnjährige Personen. Schon hier fällt auf, wie schwierig es für Medizinprodukte Hersteller erscheinen muss ihre Produkte auf die Zielgruppe "Kinder und Jugendliche" zu spezifizieren.

Hürden der Industrie

Der Prozess des Erwachsenwerdens, vor allem die damit verbundenen physischen Veränderungen am Körper, sind eine große Herausforderung bei der Entwicklung entsprechender medizintechnischer Produkte. Säuglinge machen mit jedem neuen Lebensmonat enorme geistige und motorische Fortschritte, wie dem Erlernen des Sitzens, des Laufens oder der ersten Worte. Bei Kleinkindern wiederum wirkt sich das Aufnehmen und Verarbeiten ihrer Umwelteinflüsse stark auf die Psyche aus. Die Adoleszenten hingegen müssen mit ihrer werdenden Persönlichkeit und ihrer externen Umgebung fertig werden. Produkte, die den betroffenen Kindern Erleichterung verschaffen sollen, fühlen sich für diese aber meist unnatürlich oder fremd an. Erwachsene schauen meist mit mehr logischem Verständnis und Einsicht auf Produkte wie Implantate, Hörgeräte oder Stents. Kindern fehlt dieses Vertrauen in die fremde Technik noch und die Geräte verursachen Angst und Misstrauen. Abgesehen von diesen subjektiven Hürden, haben Hersteller in der Medizintechnik unterschiedliche Anatomiebedingungen im Produktentwicklungsprozess zu berücksichtigen. Die Organe der Früh- und Neugeborenen stellen, für die Techniker eine besondere Herausforderung dar. Das Herz eines vierwöchigen Babys ist um ein vielfaches kleiner als das eines Adoleszenten oder Erwachsenen Menschen. Wegen dieser Tatsache stellen operative Eingriffe kleinen Patienten eine höhere Lebensgefahr dar und können leichter physische Folgen haben. Diese Herausforderungen im Bereich der Kinderheilkunde, haben vermutlich auch dazu geführt, dass die Entwicklung individueller Produkte im Medizintechnikbereich bisher stärker vernachlässigt wurde. Ein Grund gegen die entsprechende Förderung kindgerechte Medizinprodukten könnte auch in der geringen Wirtschaftlichkeit für die Unternehmen liegen. Außerdem bremsen strenge sicherheitsrelevante Vorgaben, hohe Entwicklungskosten und ein äußerst kleiner Zielgruppenbereich die Entwicklung der medizinischen Hilfsmittel. Die Produktpalette fehlender oder unterentwickelter Produkte für Kinder und Jugendliche erstreckt sich von Implantaten, Injektoren, Infusions- und Dialysegeräten bis hin zu medizinischer Software, Kathetern, Diagnostikhilfen, Herzschrittmachern, Insulinpumpen und Rollstühlen. Allerdings gibt es auch positive Beispiele, wie die Bereiche der Seh- und Hörhilfen für die jungen Patienten zeigt. Hier werden Medizinprodukte seit langem auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen hin entwickelt und angepasst.

Unzureichende Erfahrungswerte trotz vorhandener europäischer Datenbank

In fast allen anderen Bereichen der Medizintechnik, fehlen den Forschern oft Langzeitstudien, die sich mit der Sicherheit und den Anwendungserfolgen der Erzeugnisse bei den jungen Patienten auseinandersetzen. Abhilfe könnte hier eine allgemein verfügbare medizinische Datenbank schaffen, welche die wichtigsten Fakten, wie Anwendungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Wirkungsweise der jeweiligen Produkte speichert und zur Verfügung stellt. Diese Wissensdatenbank müsse, so fordern Experten, auf europäischer Ebene zentral und transparent verwaltet werden und eventuelle Vorerkrankungen sowie schon durchgeführte Operationen im Körper der Patienten speichern dürfen. Die seit 2011 existierende Datenbank EUDAMED, findet in der Praxis immer noch zu wenig Anwendung. Ursprünglich wurde die EUDAMED für Medizinprodukte von der Europäischen Kommission zu einer übersichtlichen Verwaltung von medizinischen Erzeugnissen ins Leben gerufen. Die Einführung ging einher mit einem EU Beschluss, der sämtliche EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die Datenbank zu nutzen. Allerdings weist die EUDAMED-Plattform einen erheblichen Nachteil auf: der öffentliche Zugang. Lediglich Behörden haben bisher Zugriff auf diese Datenbank, privat Unternehmen bleibt der Zugriff verweigert. Aber gerade diese Unternehmen könnten den Zuwachs an Daten erheblich positiv beeinflussen und somit Ärzten und Patienten helfen die richtige Behandlungsmethode zu finden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass gerade Ärzte und Mediziner einer Öffnung der Datenbank positiv gegenüber stehen. Auch gerade im Hinblick auf die Anwendung der medizinischen Erzeugnisse bei Kindern und Jugendlichen wäre zumindest eine teilöffentliche Plattform, zwingend notwendig. Kinderärzte und Chirurgen hätten die Möglichkeit von der Erfahrung ihrer Kollegen mit Produkten auf europäischer Ebene zu profitieren. Gerade bei Implantaten und der Verpflanzung von Herzschrittmachern könnten diese Informationen den kleinen Patienten zu Gute kommen. Außerdem könnten Langzeitbeobachtungen bezüglich der Auswirkung der medizinischen Geräte auf das Wachstum der Kinder und Jugendlichen leichter dokumentiert werden, was wiederum zu einer Verbesserung der Produkte führen könnte. Patienten, Ärzte und Industrie müssten zusammen ihre Erfahrungen dokumentieren und könnten somit gemeinsam profitieren.

Behörden greifen fördern mit ein.

Betroffene fordern schon lange von offiziellen Stellen und Regierungsvertretern, Anreize in der Medizintechnik Industrie zu schaffen, um eine Herstellung für Heranwachsende in ein attraktiveres Licht zu rückt. Aus diesem Grund hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Initiative im Jahre 2017 gegründet, die auf die Lücke im Medizinbereich aufmerksam macht sollte. Der Slogan der damaligen Kampagne lautete: „Kleine Patienten, großer Bedarf - Medizintechnische Lösungen für eine kindgerechte Gesundheitsversorgung“. Marketingexperten rieten bei kindgerechten medizinischen Produkten unter anderem zu einem verlängertem Garantierecht.

Eine unkonventionelle Interpretation des Grundgesetzartikels

Es gibt auch Stimmen in Deutschland, die im zweite Absatz des Artikels zwei des Grundgesetzes eine Verpflichtung der Industrie sehen, kindgerechter Produkte in der Medizintechnik zu etablieren. Der Wortlaut: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ ließe Platz daraus eine Pflicht des Vorhandenseins von medizinischen Geräten auch für Kinder zu interpretieren. Ob eine entsprechende Klage Erfolg hätte bleibt aber zu bezweifeln.

Die Statistiken sprechen für eine Weiterentwicklung für kindgerechte Produkte

Es ist allerdings Fakt das aufgrund des verbesserten allgemeinen Lebensstandards in den Industriestaaten, die meisten Babys kerngesund auf die Welt kommen. Aber, Statistiken zufolge kommt jeder 100. Säugling trotzdem mit einem Herzfehler auf die Welt. Babies welche von Geburt an andere körperliche Einschränkungen haben, wie zum Beispiel ein offener Rücken oder eine Hasenscharte, sind bei diesen Zahlen noch gar nicht mit dabei. Diese Fehlbildungen, können vererbt sein oder während der Zellteilung in der Einnistungsphase des Embryos entstanden sein. Gleiches gilt für Diabetes, die Stoffwechselerkrankung entsteht im Laufe der Schwangerschaft, wenn die werdende Mutter starken psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Als Zielgruppe für individuelle Medizinprodukte sind diese Kinder zwar geringer als die Gruppe der Erwachsenen, sollten aber trotzdem das Recht auf dieselbe medizinische Versorgung haben wie ihre Eltern und Großeltern. Trotzdem ist die Realität meist eine andere, vielen Eltern werden bisher leider zu wenige Möglichkeiten bereitgestellt, ihren Schützlingen Erleichterung schon in jungen Jahren zu verschaffen. Die Folgen sind häufig soziale Ausgrenzung der Kinder und Eltern, sowie eine Benachteiligung im schulischen und frühberuflichen Umfeld.

Es bewegt sich was.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat daher erst kürzlich eine Bekanntmachung veröffentlicht, die sich dieser Thematik speziell annehmen soll und als Hoffnungsträger für eine kindgerechte Gesundheitsversorgung auftritt. Die Richtlinie zur Förderung innovativer Lösungen schreibt eine Entwicklung von Produkten vor, die Betroffene Kinder und Jugendliche stärker fördert. Therapieformen sowie Geräte die den jungen Patienten einen besseren Alltag ermöglichen sollen durch das Bundesministerium entsprechend gefördert werden. Die Förderrichtlinie richtet sich speziell an Einrichtungen wie Hochschulen, Forschungskliniken oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Der Hintergedanke ist junge Menschen zu motivieren ihr Wissen und ihren Tatendrang in ein Forschungsgebiet zu stecken, dass im wahrsten Sinne noch in den Kinderschuhen steckt. Auch kleine und mittelständische Unternehmen der Medizintechnikindustrie können entsprechende Förderungen beantragen und erhalten, vorausgesetzt ihre Forschungen dienen einer Weiterentwicklung kindgerechter Produkte. Gefördert werden sollen gerade Entwicklungsverbundprojekte zwischen Industrie und Forschung, hierbei liegt der Schwerpunkt auf der gemeinsamen Zusammenarbeit um schneller in der Lage zu sein entsprechende, neuartige Produkte in den Markt zu bringen. Auch Soziologen und Psychologen können in die Projekte gefördert integriert werden um die kindgerechte Erreichbarkeit der jungen Patienten zu garantieren. Ein Vorreiter und Projektpartner ist die VDI Technologiezentrum GmbH in Berlin welche schon offiziell vom BMBF für das Verwirklichen der Förderrichtlinie beauftragt wurde und erste Erfolge in entsprechenden Kooperationen vorweisen kann.

Fazit:

Für Eltern, Kinder und Jugendliche ist diese Entwicklung ein Meilenstein hin zu kindgerechten Medizinprodukten. Es symbolisiert den Anfang eines verbesserten Gesundheitswesens von Kleinkindern und Jugendlichen. Dennoch ist der Weg zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung von Kindern, die Implantate, Insulin-Pumpen, Hörgeräte, Hüftgelenke, Herzschrittmacher, Knochenplatten oder Prothesen benötigen noch weit. Ironischerweise wären die Heilungschancen nach einer entsprechenden Operation bei dieser jungen Patienten ungemein höher, da der noch junge Körper verursachte Schäden schneller heilen kann und sich an die neuen Umstände besser gewöhnen lässt. Auch die Eingewöhnung von Kindern und Jugendlichen mit zum Beispiel implantierten Hörgeräten verläuft natürlicher und mit mehr Akzeptanz als bei Erwachsenen. Die anfängliche stärkere Zuwendung und Nähe ihrer Angehörigen unmittelbar nach dem Eingriff erweist sich schnell als Zielführend und das Gerät oder Produkt wird ganz selbstverständlich als zukünftiger Teil des eigenen Körpers angenommen. Die Industrie muss einen Weg finden Medizinprodukte noch individueller auf verschiedene Zielgruppen zu entwickeln. Eine vielversprechende Technik könnte der 3D Druck sein. Erste Implantate aus körperähnlichen Materialien konnten bereits nachgebildet werden, wenn auch erst im Labor. Es bleibt abzuwarten ob diese Entwicklung sich auch auf das Thema der Gesundheitsversorgung für Kinder und Jugendliche ausweitet, es wäre wünschenswert.

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